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Franco Scapinis Ferrari F355 GT3 ist das fehlende Bindeglied in Maranellos GT-Rennsport-Stammbaum

Der jetzt bei Jan B. Lühn zum Verkauf stehende Ex-Franco Scapini Ferrari F355 GT3 ist nicht nur ein „böser” Rennsieger der 1990er-Jahre, sondern auch der „missing link“ zwischen dem Ferrari 348 GT/LM und dem 360 GT3. 


Heutzutage sind die Challenge-Autos von Ferrari im Grunde vollwertige Rennwagen. Aber in den 1990er-Jahren, als das Ferrari Challenge-Programm noch in den Kinderschuhen steckte, waren – abgesehen von Slick-Reifen und einem strafferen Fahrwerk – Modelle wie der 348 Challenge fast identisch mit ihren straßentauglichen Gegenstücken. Wenn man nach etwas Schnellerem suchte, war der von Michelotto aufgebaute 348 GT/LM eine echte Waffe auf der Rennstrecke. Aber als es um den Nachfolger des 348 ging – den inzwischen legendären F355 – war das Challenge-Auto mehr oder weniger ausgereizt. Das heißt, bis der außergewöhnliche Rennfahrer und Ingenieur Franco Scapini ins Spiel kam. 

Seine ersten Erfahrungen hinter dem Lenkrad machte Franco im Alter von 14 Jahren bei Kart-Rennen. Danach kletterte der am 7. April 61 Jahre alt werdende Pilot aus Varese schnell die Motorsportleiter hinauf, trat in der Formel 3, der Formel 3000 und sogar in der Sportwagen-WM an, wo er in der Gruppe-C-Ära den privaten Lancia LC2 des Mussato-Teams pilotierte. Schließlich schaffte Franco als Testfahrer des Life-Formel-1-Teams sogar den Sprung in die Königsklasse des Motorsports. Obwoh er danach auch in Indycar- und GT-Serien antrat, war er nicht nur an den Asphalt gebunden. „Ich habe mich auch einem Motorboot-F1-Team angeschlossen“, klärt er mich auf. „Wir bauten die Boote sowohl für den Werkseinsatz des Teams als auch für zahlreiche Kunden. Ich war Teammanager und gehörte auch dem technischen Designteam an. Während meiner Zeit im Powerbootsport habe ich acht Welt- und zwei Europameisterschaften gewonnen sowie zwei Geschwindigkeitsweltrekorde aufgestellt. Heute bin ich immer noch als Berater im Motorsport tätig, interessiere mich aber auch für die Luftfahrt. Ich fliege oft Geschäftsflugzeuge.“ Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass Franco die Geschwindigkeit im Blut liegt. 

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, wie er dazu kam, sich des glorreichen Ferrari GT3, den Sie jetzt auf ihrem Bildschirm sehen,  anzunehmen. Und ob ihm in gewisser Weise dieser Schritt „aufgezwungen“ wurde. Franco erklärt: „Mein Vater hatte eine offizielle Ferrari-Service-Werkstatt. Wir fuhren mit diesem Auto in der Ferrari Challenge, aber ich dachte, dass man etwas Leistungsstärkeres für ambitioniertere Sportkunden machen könnte. Der F355 Challenge hatte objektiv ein sehr niedriges Leistungslmit, und als ich ihn zum ersten Mal fuhr, dachte ich: ‚Das ist wie ein normales Auto‘. Deshalb beschloss ich, ihn weiterzuentwickeln. Ich unterbreitete Ferrari den Vorschlag und erhielt die Erlaubnis, ihn in Fiorano zu testen.“

Also machte sich Franco an die Arbeit und entwarf alle notwendigen Modifikationen, um ihn von der Challenge- in die hier zu sehende GT3-Version zu verwandeln – und zwar in Übereinstimmung mit dem damaligen FIA-Reglement. „Wir haben alles neu entwickelt“, sagt Franco. „Aufhängung, Motor, Chassis und Karosserieteile. Wir haben alles selbst gemacht, in der Werkstatt meines Vaters in Gallarate (VA). Das Auto ist am Ende wirklich gut geworden, ein echtes Renngerät. Ich habe es so gemacht, wie ich es wollte und wie es mir vorschwebte. Der Wagen ist jetzt leichter, viele Teile sind aus Verbundwerkstoffen gefertigt, er hat ein verbessertes Aero-Kit, eine komplett überarbeitete Uniball-Aufhängung und stärkere Bremsen, eine richtige Rennkupplung und einen Motor, der 430 PS bei 9.200 U/min leistet. Als wir das Auto auf die Strecke brachten, lag es am Gewichtslimit der damaligen GT3-Regeln – etwa bei 1148 kg. Im Vergleich zum F355 Challenge konnten wir rund 250 kg einsparen. Nach vielen Tests und viel Feinschliff war es an der Zeit, das Auto im Rennen einzusetzen.“ 

"Wie es sich fährt, kann uns niemand besser sagen als der Mann, der das Auto selbst konstruiert und gefahren ist: „Zunächst einmal war der Wagen im Nassen sehr gut, normalerweise sind die meisten Autos bei Regen nicht so einfach zu fahren. Dank der aerodynamischen Entwicklung, die wir vorgenommen haben, war der Ferrari im Nassen einfacher zu fahren als im Trockenen! Am Ende war das Gefühl näher an einem Sportprototypen als an einem Supersportwagen."

Am Ende erwies sich Francos F355 GT3 auf der Rennstrecke als echte Waffe - er nahm sogar dreimal an den 24 Stunden von Daytona teil. - was äußerst beeindruckend war, da er im Gegensatz zu den Konkurrenten von Porsche und Venturi nicht von Anfang an mit Blick auf den Rennsport entwickelt worden war. Franco blickt zufrieden auf seine Zeit mit dem Auto zurück, vor allem auf einige herausragende Momente. „Das beste Rennen? Ich erinnere mich vielleicht an die beiden, die ich in Albacete in der spanischen Meisterschaft gewonnen habe, und an das in Misano in der italienischen Meisterschaft. Beide Male standen wir neben Autos aus der GT2-Klasse auf dem Podium, obwohl der F355 nur ein GT3 ist...“ Derweil hatte Ferrari von Francos Erfolgen am Steuer seines F355 GT3 Wind bekommen. Und da die Entwicklung des von Michelotto gebauten 360 GT3 kurz vor dem Abschluss stand, baten sie Franco, die Entwicklung seines eigenen GT3-Ferrari einzustellen.

Heute steht dieses schöne und einzigartige Stück Motorsportgeschichte bei Jan B. Lühn zum Verkauf. Das Auto wird so präsentiert, wie es im Jahr 2000 gefahren wurde. Bis auf den Einbau eines neuen Überrollbügels, um ihn für historische Rennen startberechtigt zu machen, während der alte Überrollbügel beim Verkauf mitgeliefert wird. Der Motor wurde vor kurzem komplett überholt und der Rest des Autos wurde gerade gewartet, womit der Ferrari nun bereit ist, wieder auf die Strecke zu stürmen. Bereit für die Peter Auto Series, die Masters Series, die historischen Daytona 24, die Challenge- und GT-Tage sowie die deutsche Ferrari-Club-Rennserie (um nur einige zu nennen), hat dieses tänzelnde Pferd noch viele Runden vor sich und wird sicherlich eine wunderbare Ergänzung für jede große Ferrari-Sammlung sein.

 

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