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Im italienischen Hügelland auf Tuchfühlung gehen mit dem Lamborghini LM 002

Manche Autos geben vor, hart zu sein. Aber der Anspruch stimmt nicht mit dem Fahrerlebnis überein. Für Redakteur Elliot Newton war die Fahrt im bedrohlich wirkenden LM 002 von Lamborghini ein Kampf, auf den er nicht vorbereitet war und den er wahrscheinlich nie vergessen wird.

Wohin man heute auch schaut, an jeder Ecke lauert ein SUV. Belebte Wohnstraßen, abgelegene Bauernhöfe, sogar vor den feinsten Hotels der Welt geparkt – nirgends scheint man mehr von ihnen verschont zu bleiben. Selbst die berühmtesten Sport- und Luxuswagenmarken der Welt können sich mittlerweile der finanziellen Verlockung eines SUV nicht entziehen – siehe Lamborghini mit dem Urus, Maserati mit dem Levante, Bentley mit dem Bentayga, Rolls-Royce mit dem Cullinan und selbst Ferrari mit dem Purosangue. 

Porsche hat schon seit längeren den Cayenne, der die Marke 2002 wohl gerettet hat, obwohl er mit Heugabeln und „No Porsche No“-Protesttafeln empfangen wurde. Da er alles zu zerstören schien, wofür die Marke stand. Die Realität ist, dass Porsche genau wusste, was sie taten: Sie bauten einen außergewöhnlich fähigen Familien-SUV, der nicht nur wie ein Porsche aussah, sondern auch fast so aufregend zu fahren war wie der neueste 911er. 2002 mag wie eine Ewigkeit zurückliegen, aber Lamborghini hatte bereits 1986 den Grundstein für das gelegt, was später zum Urus werden sollte: nicht ein SUV moderner Prägung, sondern ein kantiger Offroader mit militärischen Genen und dem V-12-Motor des Supersportwagens Countach. 

Doch der Reihe nach. In den 1970er-Jahren befand sich Lamborghini dank des Countach, dem neuen Juwel der Supersportwagenwelt, auf einem kurzen Höhenflug. Doch in einer bizarren Wendung begann die Marke 1977 mit der Auftragsarbeit an einem Jeep-Nachfolger für die US-Armee namens Cheetah. Das 1977 auf dem Genfer Salon gezeigte Monster, das aussah wie ein auf riesigen Reifen stehender Dune Buggy im XXL-Format, war mit einem Chrysler-V8 bestückt und ursprünglich gar keine Lambo-Entwicklung. Die Planung sah vor, den von der amerikanischen Firma Mobility Technology International (MTI) entwickelten Prototypen in Italien fertig zu entwickeln und auch zu bauen, während MTI den Verkauf an das amerikanische Militär und zivile Kunden übernehmen sollte. Schnell erkannten die Lambo-Ingenieure jedoch die größte Schwachstelle des komplett offenen Wüstenfuchses: Der riesige Heckmotor und der ungünstige Schwerpunkt machten ihn von Anfang an fast unfahrbar. Am Ende gewann AM General mit seinem High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle (HMMWV), später HUMVEE, die Ausschreibung fürs US-Militär, und es blieb bei vermutlich zwei Cheetah-Prototypen. Doch das Konzept köchelte bei Lamborghini im Hintergrund weiter.

Zu Beginn der 1980er-Jahre nahm als Vision des damaligen CEO Guilio Alfieri das Projekt eines neuen Hochleistungs-Geländewagen von Lamborghini wieder konkret Gestalt an. Der bullige Offroader mit der Bezeichnung LM 001 debütierte 1981 auf dem Genfer Salon und wurde von einem anfangs ebenfalls im Heck installierten 5,9-Liter-V8 aus amerikanischer Produktion angetrieben. Anders als der Cheetah kam er mit einer geschlossenen Karosserie und vier Türen. Genau wie der Cheetah Jahre zuvor wirkte sich dieses Package jedoch ungünstig auf die Gewichtsverteilung und damit das Handling aus. 

„Anteriore! Anteriore! Anteriore!“. Nach vorn, nach vorn, tönte es aus allen Ecken, und in der Tat wanderte schon im Folgejahr der Motor in den Bug. Zugleich wurde der sperrige, träge amerikanische V8 durch Lambos Meisterstück, den 5,0-Liter-V12 (L503) mit 330 PS aus dem Countach, ersetzt. Schnell nahm der 1982 auf dem Genfer Salon und dann auch beim GP von Monaco gezeigte LMA-Prototyp (A für Anteriore) konkrete Gestalt an. Mit Einzelradaufhängung rundum, selbstsperrenden Differentialen, einem zuschaltbaren Allradantrieb, der 75 Prozent der Kraft auf die Hinter- und den Rest auf die Vorderachse übertrug, sowie einem Fünfgang-ZF-Getriebe mit Geländeuntersetzung war er mehr als fähig, jedes Terrain zu durchqueren, das Mutter Natur ihm und seinem Fahrer vorsetzte. Es dauerte dann noch vier Jahre, ehe 1986 die Serienproduktion des nun LM002 getauften Off-Roaders anlief, nunmehr mit dem 455 PS starken Motor aus dem Countach LP5000 QV. Unter anderem erhielt er den Kosenamen „Der Jeep für den Jet Set“. 

Rund 37 Jahre später werde ich von den bedrohlichen Scheinwerfern des LM 002 begrüßt, der hier neben anderen unbezahlbaren Lambos an seinen Platz geschoben wird. Dieses besondere Exemplar ist alles andere als unauffällig, denn es ist in einem berühmten Motorsport-Blau/Grün lackiert und innen mit dem feinsten weißen Leder der 1980er-Jahre ausgestattet. Überall auf dem Fahrzeug sind Aufkleber angebracht, die auf den Erstbesitzer, das japanische Leyton House Racing Team, hinweisen. 

Obwohl wir uns hoch oben in den Hügeln von Zocca in Italiens reizvoller Region Emilia Romagna befanden, die für ihre sanften Hügel, kurvenreichen Straßen und fantastischen Sonnenuntergänge berühmt ist, war das regnerische Wetter eher 4x4- als Sportwagen-gerecht. Während der LM 002 im zunehmend langsamen Leerlauf vor sich hin brummelte, kletterte ich hinein und bemerkte sofort das utilitaristische Ambiente, ähnlich wie der eines H1 Hummer. Der Mitteltunnel des LM 002 ist so breit, dass man mit dem Arm kaum den Beifahrersitz erreichen kann. Leder bedeckt fast jede Oberfläche, die nicht schon von gealterten Holzverkleidungen bedeckt wird. Ehrlich gesagt war der LM 002 nicht nur wegen seiner Respekt einflößenden Rambo-Optik (und obwohl ich erst kurz zuvor aus dem letzten vom Band gelaufenen Miura ausgestiegen war) von allen an diesem Tag gefahrenen Lambos das Modell, das mir am meisten Angst einflößte. Bei der Fahrt hinter seinem entfernten Nachfahren, dem Urus Performanté, fiel mir ein Hindernis sofort ins Auge. Die die sechs Weber-Doppelvergaser verbergende Hutze in der Motorhaube ragt so weit nach oben, dass Rechtskurven fast blind gefahren werden müssen. Wobei dann das gesamte Gewicht von 2.700 kg auf eine Seite verlagert wird, was den Wagen in die Höhe katapultiert und den Piloten in die ungepolsterten Sitze hineindrückt.

Nach etwas mehr Zeit hinter dem Steuer und nachdem sich die anfängliche Nervosität etwas gelegt hatte, wurde mir klar, was dieses Auto wirklich ausmacht. Nur wenige Zentimeter von meinen Füßen entfernt wartete die größte Errungenschaft von Lamborghini, der 60-Grad-V12-Motor, nur darauf, Dampf abzulassen. Was erst ab etwa 4.000 Umdrehungen pro Minute richtig zur Geltung kommt, wenn den Fahrer ob der Fähigkeiten des Autos langsam der Mut verlässt. Zum Zeitpunkt der Markteinführung war der LM 002 der schnellste Geländewagen der Welt. Er schaffte für einen Lamborghini relativ bescheidene 210 km/h, km/h, wenn man mutig genug war, sie auszunutzen. Eindrucksvoller war der dagegen die Beschleunigung: 0 auf 100 km/h in unter acht Sekunden. Zugleich konnte der Vorläufer vielzylindriger SUV Steigungen von 120 Grad erklimmen. 

Diese schiere Verrücktheit ist genau das, wofür Lamborghini stand und auch heute noch steht. Und der Mut und die Fähigkeit, ein so extremes Fahrzeug zu bauen, schon beeindruckend. Dasselbe lässt sich auch über das aktuelle SUV sagen, obwohl der Urus Performante ein weitaus souveränerer, ausgefeilterer und straßentauglicherer SUV ist als der LM. Seine Leistungsdaten sind atemberaubend: Er beschleunigt von 0 auf 100 km/h schneller als ein Ferrari Enzo, ein Nissan Skyline R35 GTR und sogar Lambos eigener Reventon.

Ich hatte das Glück, einige der seltensten Kreationen der Marke zu testen, aber keine Fahrt hat sich so sehr in mein Gedächtnis eingebrannt wie die im LM 002. Während er auf den engen italienischen Nebenstraßen von links nach rechts schwankte, hatte ich einige Zeit um zu verstehen, warum dieses Auto so eine Ikone ist. Vielleicht liegt es nicht an seiner Leistung oder seinem fragwürdigen Fahrverhalten, sondern an der Berühmtheit, die er in seiner kurzen, sechsjährigen Lebenszeit erlangte. Es wurden nur 301 Exemplare hergestellt, von denen viele von Berühmtheiten und Adeligen gekauft wurden, von König Hassan von Marokko bis zu Formel-1-Weltmeister Keke Rosberg und natürlich Rambo selbst, Sylvester Stallone. Wenn sich Ihnen jemals die Gelegenheit bietet, sich hinter das Steuer eines der seltsamsten und doch charmantesten Kreationen von Lamborghini zu setzen, würde ich Ihnen raten, sich ans Steuer zu setzen – und sich gut festzuhalten! 

Fotos von Federico Vecchio