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Nach zwölf Jahren fahren wir wieder in einem roten Bentley Continental GTC nach St. Moritz

Wir haben es uns zur Gewohnheit gemacht, zu The ICE in St. Moritz stilvoll anzureisen. Und womit ginge das besser als in einem V8 Bentley Continental GTC S? Es stellte sich heraus, dass meine Kollegen vor zwölf Jahren genau dieselbe Idee hatten...

Wenn man sich selbst zitiert, ist man dann ein egoistischer Maniac oder nur eine weise Stilikone, die einfach nur standhaft zu ihren Überzeugungen steht? Was auch immer die Antwort sein mag, wir haben es geschafft, uns versehentlich selbst zu zitieren. Indem wir eine Reise von vor zwölf Jahren nachgestellt haben, als J.P. Rathgen und Jan Baedeker mit einem roten V8 Bentley Continental GTC nach St. Moritz fuhren...

Das war nicht im Geringsten geplant, aber wie es der Zufall so will, hätte es nicht besser laufen können. Als ob es nicht schon etwas Besonderes wäre, einen fabrikneuen Bentley Continental GTC auf einem Roadtrip fahren zu können, stellte uns Bentley dieses exquisite Modell als Begleitfahrzeug für The ICE 2024 in St. Moritz zur Verfügung. Schon während der Fahrt stellten wir fest, dass die Idee zu dieser Tour gar nicht so originell war. Denn im Jahr 2012 hatten meine Classic Driver-Kollegen wie erwähnt mit einem GTC der Vorgänger-Generation fast genau die gleiche Fahrt ins Engadin unternommen.

Die Zufälle hören damit nicht auf. Der damalige Wagen war nicht nur auch ein Cabrio, sondern ebenfalls rot (wenn auch in einem anderen Farbton, Dragon Red statt St. James Red wie unser heutiges Auto). Es war zugleich der erste Bentley Continental GTC der VW-Ära, angetrieben nicht vom W12, sondern vom leichteren V8, was eine weitere Gemeinsamkeit mit unserem heutigen Luxuskahn herstellt. Doch es gibt einen Unterschied: Die Flanken unseres Wagens zieren „S“-Schriftzüge, die auf die durch ihr Blackline-Paket schon optisch sportlichste Variante der V8-Continental-Baureihe verweist. Mit 550 PS und einem Drehmoment von 770 Nm hat der Twinturbo-V8 enormes Potenzial für mühelose Fahrten quer über den Kontinent. Erwähnenswert ist, dass der vor zwölf Jahren bewegte Wagen mit 507 PS und 660 Nm deutlich schwächer war – aber das ist eben die Evolution.

Auch die Abstimmung des 4-Liter-Motors haben sie bei Bentley geändert. Lag das maximale Drehmoment beim Vorgänger schon ab 1700 U/min an, muss die Kurbelwelle des aktuellen V8 dafür etwas schneller, exakt 2000 Mal pro Minute, rotieren. Dafür bleiben die 770 Nm dann konstant bis 4500 U/min abrufbar – optimal für einen solchen Grand Tourer, bei dem müheloses Cruisen ein Muss ist. Das Getriebe ist nach wie vor eine 8-Gang-Automatik, jetzt aber eine Doppelkupplung, die den Gewichtszuwachs von 40 Kilogramm wettmacht. Der Spurt von 0 auf 100 km/h dauert nur 4,1 Sekunden, im Vergleich zu 5,0 Sekunden beim Vorgänger. Die Höchstgeschwindigkeit? Wer es auf der linken Spur einer leeren dreispurigen deutschen Autobahn austesten will – 318 km/h! Auf einer solchen Autobahn sind wir auch gerade und ich frage mich, ob die Winterreifen wohl explodieren würden, wenn ich diesen GT mit konstant 200 km/h in Richtung österreichische Grenze jagen würde.

Doch für den Moment scheint mir die Gewichtsfrage zweitrangig. Wir fahren von München kommend langsam durch einen Teil Österreichs und dann in die Schweiz, auf dem Weg zu unserem Ziel: dem Hotel Suvretta House in St. Moritz. Die dicken Winterreifen und der permanente Allradantrieb (62 Prozent des Drehmoments gehen auf die Hinterachse) tragen dazu bei, dass sich das Auto agiler und leichter anfühlt, als ich es unter diesen Bedingungen für möglich gehalten hätte. Der Bentley ist trotz seines Soft-Tops flüsterleise, und der vierkanalige Sportauspuff erwacht nur, wenn man in den Sportmodus schaltet oder das Gaspedal kräftig durchdrückt. Selbst auf dem nassen Asphalt der Autobahn war es in der Kabine leiser als in den meisten großen Limousinen. Im Continental kann man sich entweder unterhalten, ohne die Stimme erheben zu müssen, oder lauscht den Klängen der exzellenten Naim-Stereoanlage. Meistens Bossa Novas, die so gut zur Alpenkulisse passen.

Letztes Jahr habe ich dieselbe Strecke teilweise mit einem anderen Bentley – dem Bentayga S (den Bericht könnnen Sie hier lesen) – zurückgelegt. Und bin seitdem nicht mehr über den Julierpass gefahren. Stellen Sie sich also meine Überraschung vor, als ich feststellte, dass das 2017 auf 2300 Meter Höhe errichtete Juliertheater mit seinem markanten Turm nicht mehr existierte. Es war – wie sich herausstellte– planmäßig im Herbst letzten Jahres abgerissen worden. Ohne den obligatorischen Fotostopp fuhren wir hinab nach Silvaplana und in Richtung Suvretta.

„Es ist stimmig, mit dem richtigen Auto anzukommen, auch wenn es ein bisschen knifflig war, den großen Koffer im Kofferraum des Conti zu verstauen“, sinniere ich, während ich den Portiers zuschaue, wie sie ihn mühsam herausnehmen. Der Kofferraum ist der einzige Nachteil, den ich im Vergleich zum Continental Coupé feststellen konnte. Wie es der Zufall will, ist gerade Zeit für den berühmten Nachmittagstee im Suvretta, also nichts wie rein. Schon bricht auch die Dämmerung herein und mit ihr die ersten Schneeflocken eines rekordverdächtigen Schneesturms, wie es ihn in dieser Region seit 15 Jahren nicht mehr gegeben haben sollte.

Am nächsten Tag wachen wir in einem Winterwunderland wie aus einem Coca-Cola-Werbespot auf. Oder sind wir vielleicht in einer Schweizer Adaption des 1996 gezeigten Thrillers Fargo gestrandet? Die Zeit wird es zeigen. Tatsache ist, dass das Engadin nach dem Wettersturz teilweise von der Außenwelt abgeschnitten und nur ein Pass offen geblieben ist. Wir beschließen, das näher zu erkunden und machen uns auf den Weg hinauf zum Bernina. Nur um festzustellen, dass dicke Reifen und ein 2,3 Tonnen schweres Auto nicht die ideale Kombination für diese Bedingungen sind. Auch wenn ich mir schon ausmale, den Bentley wie einen Subaru Impreza durch den Schnee zu driften. Bis zu einem gewissen Punkt hat er eine gute Traktion, aber wenn die Haftung abbricht, geht er einfach weg. Sind alle vier Räder ohne Grip, rutscht die Fuhre in Richtung eines Vektors, den die Gesetze der Physik festgelegt haben...

Für die nächsten zwei Tage entpuppt sich der Conti dann jedoch als perfekter St. Moritz-Runabout und als Taxi, in dem wir Freunde zu den verschiedenen Ersatzevents mitnehmen, die anstelle des abgesagten Concours stattfinden. Unterwegs machen wir auch ein paar Entdeckungen. Es stellt sich heraus, dass zwei fast zwei Meter große Männer hinten reinpassen, ohne dass man das Verdeck abnehmen muss. Okay, es ist unbequem, und nicht gerade die beste Ersterfahrung in einem Bentley, aber es funktioniert. Ohne Kapuze rollen wir dann problemlos durch den Ort und lassen uns dabei gerne von Passanten fotografieren. Ein roter Continental GT, der offen durch den Schnee fährt und in dem vier Personen sitzen, scheint die Leute glücklich zu machen. Viele Autospotter zeigen uns einen „thumbs up“ und ein Rolls-Royce Cullinan-Fahrer schaut uns überrascht an. Na ja...

Als es nach diesem verlängerten Wochenende am Montag Zeit ist, das Auto nach München zurückzubringen, fahren wir noch einmal über den inzwischen geräumten Julierpass. Mit aufgespanntem Verdeck, aktivierten Airscarves und eingeschalteter Heizung geht es zu den Klängen des herrlichen V8-Soundtracks bergauf. Die Lenkung ist angenehm gewichtet und vermittelt viel Gefühl, und im Sportmodus wird der Bentley zu einem opulenten, aber agilen und kompetenten großen Sportwagen. 

Im Jahr 2012 schrieben meine Kollegen, dass ihr roter Bentley „alle Anforderungen an einen perfekten Wintersportwagen erfüllt: Er bringt Sie sicher und stilvoll ans Ziel.“ Dazu muss ich 2024 ergänzen, dass „er jetzt auch ein breites Lächeln auf Ihr Gesicht zaubern kann“.

Fotos von Anna Gańczarek-Rał und Błażej Żuławski