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New Stratos: Erste Eindrücke

Seit dem Sommer stellen sich Petrolheads weltweit nur noch eine Frage: Hält die Technik, was das Design des neuen Stratos verspricht? Richard Bremner hat den Revival-Rennwagen auf der Rennstrecke Paul Ricard für Classic Driver getestet und verrät, ob das Remake dem Original das Wasser reichen kann.

Es ist die Geschichte einer Obsession: Ein Mann, ein Automobil. Und es ist die Geschichte eines Erfolges. Denn was der Unternehmer, Automobilsammler und Rallyefahrer Michael Stoschek hat geschafft, wovon Millionen von Automobilenthusiasten weltweit träumen. Er hat seinen historischen Traumwagen neu aufleben lassen und dabei ein Qualitätsniveau erreicht, das den besten Sportwagen unserer Zeit in nichts nachstehen soll. Der Traumwagen, das ist jener Lancia Stratos, der in den 1970er Jahren die Rallye-Szene durcheinander wirbelte und noch heute als einer der besten Sportwagen des 20. Jahrhunderts verehrt wird. Mit seiner Faszination für den Stratos war Stoschek somit nicht allein. Die Idee für die Wiederauflage der Lancia-Ikone geht auf den Automobildesigner und Classic-Driver-Autor Chris Hrabalek zurück, der 2005 mit dem Fenomenon Stratos eine erste Studie für das Remake veröffentlichte. Stoschek, der das Projekt unterstützt hatte, war fortan Feuer und Flamme. Mit großem finanziellen und konzeptionellem Einsatz machte sich Stoschek daran, das Projekt auf ein neues Level zu heben. In Zusammenarbeit mit Ferraris Haus-und-Hof-Designstudio Pininfarina und auf Basis des Ferrari F430 Scuderia ließ der Unternehmer einen Prototypen entwickeln, der im Sommer 2010 seine ersten Testrunden drehen durfte.

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Was man von vorneherein klarstellen muss: Der New Stratos ist nicht bloß ein F430 Scuderia mit neuer Karosserie. Um die kompakten Abmessungen und den kurzen Radstand des Ur-Stratos zu erreichen, wurde das Chassis des Renn-Ferrari um 20 Zentimeter verkürzt. Gleichzeitig wurde das Gewicht um 150 Kilogramm reduziert und die Motorleistung von 510 PS auf 540 PS angehoben. Viel Arbeit floss auch in die strukturelle Modifikation des Chassis, das für den neuen Einsatzzweck deutlich wendiger und agiler werden musste. Die Karosserie wurde wie große Teile des Innenraums aus Carbonfaser gefertigt. Zusammen mit Hrabalek, Pininfarina und einer Gruppe von Designern und Ingenieuren hat Stoschek zunächst nur einen fahrbereiten Prototypen entwickeln lassen. Bei entsprechender Nachfrage soll die Produktion jedoch auf eine Kleinserie ausgeweitet werden.

Wir haben das Glück, den neuen Stratos auf der Grand-Prix-Rennstrecke Paul Ricard im französischen Le Casstellet in Aktion erleben zu können. Erst als Beifahrer, dann selbst hinter dem Steuer. Sogar aus der Copiloten-Perspektive ist der Wagen mehr als aufregend. Mein Fahrer ist Michael Stoschek selbst. Von Sechs-Punkt-Gurten in die Carbon-Sessel geschnallt, per Funk mit Hubschrauber-Headsets verbunden, rollen wir an den Start. Stoschek greift in die Lenkrad-Paddel, tritt das Gaspedal durch, und schon schießen wir auf die Strecke. Während der ersten Kehre ist klar, dass der neue Stratos ein Kurvenkünstler ist. Der Wagen hält die Ideallinie wie ein reinrassiger Rennwagen. Die Karosserie folgt den Lenkbewegungen ohne auch nur ansatzweise zu wanken oder zu untersteuern. Stoschek legt an Geschwindigkeit zu, um die Agilität unter Beweis zu stellen, und lässt den neuen Stratos in der nächsten Runde jene übersteuerten Slides hinlegen, für die das Original einst so berühmt war.

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Pitstop in der Boxengasse, Fahrerwechsel. Mit der Lenkradschaltung kommt man schnell zurecht. Das Steuer selbst ist leichtgängig aber trotzdem sehr direkt. Eindrucksvoll ist die Sicht durch die Panorama-Frontscheibe, die sich wie ein Visier um das Cockpit biegt. Zunächst erscheint es, als sei der neue Stratos ein leicht zu kontrollierender Sportwagen. Doch mit steigender Geschwindigkeit spürt man zunehmend die Fliehkräfte – und in engen Kurven macht sich das Gewicht des Ferrari-V8 über der Hinterachse bemerkbar. Ab einem gewissen Tempo, so kann man ahnen, werden sich die dicken schwarzen Reifen von der Spur verabschieden wollen. Hält man den Gasfuß jedoch etwas im Zaum, hilft die Gewichtsverteilung, jede Kurve mit fast chirurgischer Präzision zu nehmen. Vorausgesetzt natürlich, der Fahrer weiß die Herausforderung anzunehmen und den Stratos entsprechend präzise zu positionieren.

So eindrucksvoll wie das agile, interaktive Handling ist auch die spürbare Verarbeitungsqualität des neuen Stratos. Obwohl es sich um einen Prototypen handelt, klappert und rüttelt nichts. Die gesamte Struktur ist so straff und gespannt, wie es das Design auf den ersten Blick verspricht. Im Vergleich zum Scuderia wurde die Steifigkeit sogar um zehn Prozent erhöht – dem kurzen Radstand, dem Überrollkäfig und den zahlreichen Carbonelementen sei Dank. Der Wagen vermittelt die Güte eines produktionsfertigen Seriensportwagens, was für ein One-Off dieser Art eine absolute Ausnahme ist. Und auch die Verbindung zum historischen Vorbild ist immer im Blick, wenn man etwa die in Aluminium eingefassten Instrumente abliest oder die kleinen Kippschalter bedient.

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Gute drei Millionen Euro, so wird gemunkelt, sollen in die Entwicklung des Prototypen geflossen sein. Zumindest aus finanzieller Sicht würde eine Kleinserie also Sinn ergeben. Bei einer Serie von 25 Exemplaren dürfte der Preis für den New Stratos in der Größenordnung um 500.000 bis 600.000 Euro liegen. Verglichen mit einem Aston Martin One-77, der inklusive Steuern rund 1,7 Millionen Euro kosten soll, also ein Schnäppchen. Zudem wäre es natürlich zu schade, wenn ein derart ambitioniertes und überzeugendes Projekt unter Ausschluss der automobilen Öffentlichkeit stattfinden würde. Wenn auch nicht jeder Stratos-Aficionado letztlich den Zuschlag erhalten wird, wären die Chancen, das Remake in freier Wildbahn zu erleben, doch um einiges höher.

Text: Richard Bremner (Aus dem Englischen von Classic Driver)
Fotos: Michael Aust, Rossen Gargolov