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Magazin

Porsche 911 Carrera GTS: Agua Caliente

Von Märchen und Mythen. Das Märchen zuerst: It never rains in Southern California! Stimmt nicht. Es regnet, es stürmt. Und es wird erbärmlich kalt dabei. Ehrlich. Der Mythos: In Agua Caliente sollen bereits vor mehr als 2.000 Jahren die Cahuilla-Indianer gelebt haben. Und sich ergötzt haben am warmen Wasser der Quellen in Palm Springs. Grund genug, um den neuen Porsche-Mythos auszurufen, der kein Auto für Warmduscher sein wird. Der 911 Carrera GTS. In den nahe Palm Springs gelegenen San Jacinto Mountains konnte er das beweisen, bei Regen, Sturm und ein wenig Sonnenschein.

Selbst die Kalifornier glauben an das Märchen, dass es nie regnet in ihrem Land. Wie sonst wäre es zu erklären, dass eine jüdisch-italienisch-amerikanische Hochzeitgesellschaft mit mehr als 200 Personen ohne jeglichen Schutz im „The Parker“ ein Fest feiern will. Was sie tun? Sie flüchten. Ins Porsche-Pressezentrum und die anliegenden Arbeitsräume. Und sie alle reden über Porsche. Denn in diesem Land ist die gefühlte Porsche-Dichte höher als an jedem anderen Flecken der Welt. Die Party wird nichtsdestotrotz zum Erfolg, für das Brautpaar und für Porsche. Denn mindestens die Hälfte der Gäste stürzt sich auf Fotos und Preislisten des neuen Porsche 911 Carrera GTS.

Die drei Buchstaben GTS stehen in diesem Fall für eine Melange aus Koffein am Morgen und Adrenalin am Abend. Oder eine Neukreation mit einer Prise Carrera S und ein paar Genen des GT3. Morgens, wenn das Fadenkreuz noch nicht 100 Prozent scharf gestellt ist, sollte auch der GTS noch nicht zu scharf bewegt werden. Es sei denn, der Koffein-Pegel ist in etwa identisch mit dem Ölpegel im warmgelaufenen Motor.

Porsche 911 Carrera GTS: Agua Caliente Porsche 911 Carrera GTS: Agua Caliente

Abends indes, bright eyed and bushy tailed oder sponsored durch Adrenalin und zwölf Stunden Arbeit, kann der geneigte Pilot sich dem Schmeicheln der feinen Alcantara-Haare hingeben. Am Volant sichern sie ihm besten Grip, in den Sitzen geschmeidige Entspanntheit und – sofern ein Schalter mit Sechsganggetriebe die Wahl war – umspielt auch der Schaltknüppel (was für ein Wort) die Handinnenfläche mit feinem Leder. Das ist zumindest die Zielgruppe, die Baureihenleiter August Achleitner für den GTS ausgeguckt hat. Ambitionierte Porsche-Aficionados, die den „Rennwagen“ nicht nur am Wochenende aus der Garage befreien, sondern auch unter der Woche gerne mal etwas forcierter unterwegs sind.

Damit erhält die Familie der 911er eine weitere Variante zu den 17 bestehenden Versionen. Was bis dato mit Leistungswerten aus dem Sechszylinder von 345 PS hinreichend und als S-Version bereits mit weiteren 40 PS wie auf Stereoid wirkte, ist jetzt erst richtig angekommen: 408 muntere Pferde und 420 Newtonmeter aus dem bekannten 3,8-Liter Triebwerk, das auch im Speedster zum Einsatz kommt. GTS signalisiert somit die momentane Spitze des Carrera-Eisberges.

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August Achleitner will im Grunde auch nicht allzu viel Aufhebens machen. Der Motor ist keine Neuentwicklung, verfügt aber über eine neue Resonanzsauganlage, die dem Athleten das Atmen erleichtern soll, weil sie über sechs Klappen angesteuert werden kann. Die Frontschürze ist leicht modifiziert und betont dadurch den „Wide-Body“, der ein ordentliches Plus bei der Spurbreite umfasst. Die Seitenschweller sind auch leicht überarbeitet und teilweise schwarz lackiert, die Abgasanlage und auch der Heckabschluss mit Diffusor heben den GTS aus der 911-Abteilung hervor. Hinzu kommt: Diese beiden Elfer – Coupé und Cabrio – wird es nicht mit Vierradantrieb geben, sondern – back to basics – nur als Hecktriebler. Und deshalb hat er auch am Heck bei der Spur um 32 mm zugelegt und bei der Reifendimension noch einmal die Backen aufgeblasen: 305/30 ZR19 statt der 295er Pneus des Carrera S.

Ein Highlight sind die Räder mit Zentralverschluss, die es ansonsten höchstens im Turbo als Option gibt. Beim GTS sind sie Serie. Das mag mit Verlaub ein wenig nach Nischenwischerei klingen. Die Fahrt auf vergnüglicher Kurvenhatz belegt anderes.

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Zunächst einmal ist das Orchester im Graben anders eingestimmt als die sechs Musiker aus den Carrera und Carrera-S-Modellen. Im Leerlauf mit Ruhepuls ist der Unterschied kaum wahrnehmbar, aber bereits ab bescheidenen 2.000 Umdrehungen merkt man, dass der GTS die Pubertät längst hinter sich gelassen hat. So wie ein gereifter Bariton zusehends das Publikum fasziniert, versteht es auch der GTS, den Connaisseur zu umgarnen. Das Leben beginnt bei 3.000/min. Oder bei 2.800. Er gurgelt, grummelt und sammelt sich auf hohem Niveau und hält diese kernige Tonart bis hinauf auf etwa 4.000/min. Erst dann verlässt er den Bariton und beginnt begierig zu schnupfen, zu ziehen und zu rasseln. Bis 7.300/min.

Und dann gibt es ja noch ein Märchen, das besagt: In den USA gibt es nur gerade Straßen, die rechteckig aufeinander treffen. Das ist Bull**** und wird hier in den San Jacinto Mountains mehr als deutlich. Wie an einer Schnur aufgefädelt, hängt sich eine Kurvenkombination an die andere, über Hunderte Kilometer. Da passt Alcantara am Lenkrad bestens. Und die anfängliche Sorge, dass ein Mix aus Staub, Nieselregen und Heckantrieb den GTS zur Gefahr mache, bewahrheitet sich nicht. Höchstens in schierer Unvernunft ist der GTS aus der Ruhe zu bringen oder aus der Spur zu zwingen. Und da holt ihn dann die späte, aber milde eingreifende Elektronik wieder auf den Aspahlt zurück.

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Das Paket wird in zwei Versionen angeboten, einmal mit Sechsgang-Schaltung (sehr knackig, mit kurzen Wegen) oder mit einem Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe, der optional auch über Lenkradpaddel bedient werden kann. Hier ist wieder das anzutreffen, was inzwischen in der gesamten Branche Fuß gefasst hat: Automatikmodus mit einem Fast-Abwürg-Hochschalt-Modus, der meist um 1.000 Touren schon die nächst höhere Gangstufe vorlegt. Natürlich soll das nachhaltig sein und Sprit sparen. Aber das hat der GTS eh schon die Nase vorn. Trotz erheblich besserer Leistungsdaten und gleicher Beschleunigungswerte wie beim Carrera S (na gut, er ist ein Zehntel schneller, aber eben nur mit dem PDK-Getriebe), soll der Verbrauch auf gleichem Niveau wie beim S-Modell bleiben. Und 10,2 Liter im Schnitt sind für diese Kraftschnitte kein Wert. Schluss mit lustig ist erst bei 304 km/h.

Den schönsten Happen dieser Ausfahrt haben wir uns bis zum Schluss aufgehoben. Ab 104.935 (inkl. 19% MwSt) gibt es das GTS-Coupé. Wenn Sie sich das gleiche Leistungsniveau beim Carrera S sichern wollen und das Zusatzpaket für mehr als 12.000 Euro bestellen, sollten Sie jetzt nicht GTS-zögerlich werden. Zwar steht der GTS noch nicht überall in den Schauräumen, aber eine Option auf ein ordentliches Weihnachtsgeschenk ist trotzdem schon drin. Nota bene: Ab 115.050 Euro gibt es das schnellste Cabrio mit der besten Orchestrierung aus sechs Zylindern, 3,8 Litern, Direkteinspritzung und Alcantara-Sunrise. Da nimmt der GTS eine ganz neue Bedeutung an: Ganz tolle Sache. Zu einem sehr fairen Preis.

Text: Josef Clahsen
Fotos: Marc Urbano