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Audi e-tron: Elektronen-Beschleuniger

Morgens um sieben auf dem Pacific Coast Highway. Knapp 20 Meilen nördlich von Malibu ist die Welt noch in Ordnung. Die Sonne erhebt sich über den Hügeln und das Meer schimmert violett. Aus einem orangefarbenen Truck rollt die Zukunft des deutschen Sportwagenbaus – vielleicht. Die erste Testfahrt im Audi e-tron zeigt, dass nichts mehr so sein wird wie früher.

Wer sich bei Sportwagen nicht nur an deren Design, sondern auch an ihrem Klang ergötzt hat, erlebt an diesem Freitagmorgen auf dem Highway Number One sein ganz persönliches Waterloo. Entwickler Thomas Kräuter steigt in den Audi e-tron und fährt den roten Elektronenbeschleuniger, der aus seiner Verwandtschaft zum Audi R8 keinen Hehl macht, ein paar Meter weiter in die Sonne. Kein Brüllen, kein Fauchen oder wenigstens ein Blubbern. Außer dem Knarzen von überfahrenen Steinchen hört man nichts. Gespenstisch. „Das ist eine polarisierende Sache mit dem fehlenden Motorsound“, erzählt Kräuter als Herr über den e-tron mit ernster Miene, „da muss man sehen, wie sich das Ganze in Zukunft entwickeln wird. Die einen lieben das geräuschlose Dahingleiten, andere wollen echten Sportwagenklang.“ Statt mit einem wild fauchenden Ferrari 458 oder einer trommelnden Corvette ZR-1 soll man in nicht mehr allzu ferner Zukunft am Steuer eines Sportlers Geräusche genießen, die seit dem Wegschließen der ferngesteuerten Modellautos keine Rolle mehr gespielt haben?

Der 4,28 Meter lange Audi e-tron ist in der aufgehenden Sonne eine noch imposantere Erscheinung. Die knallig rote Lackierung mag nicht so recht an den Pacific Coast Highway und nicht zu einem solchen Boliden passen. Aber nicht deshalb dauert der Rundgang um das Elektromobil länger als gewöhnlich. Immer wieder bleibt das Auge an keinen Designdetails hängen. Allein das fein gezeichnete Gesicht mit Aluminium-Kühlergrill und LED-Augen scheint pure Zukunft. Gedanken an Transformers, Kampfstern Galactica oder Darth Vader fahren einem durch die Sinne. Noch futuristischer wirkt das Heck. Auch hier die logischen Anlehnungen an den R8. Doch durch die schmalen LED-Rückleuchten und die doppelte Alu-Spange in der Schürze wirkt das Heck noch breiter. Wider Erwarten ist kein Triebwerk unter einer illuminierten Glasabdeckung zu bestaunen. Nicht einmal ein Heckfenster hilft dem Auge bei der automobilen Portionierung des Hinterteils. Dagegen zieht das mittig positionierte Strahlenelement aus massivem Aluminium die Blicke auf sich. An seinem unteren Ende eine Klappe. Wer sie öffnet, sieht den Lademechanismus mit Polstecker sowie roten und grünen Dioden, die den Leistungsfluss anzeigen. Anbauteile wie Türen, Klappen, Seitenwände und Dach bestehen aus faserverstärktem Kunststoff und bringen so die nötige Gewichtsersparnis.

Audi e-tron: Elektronen-Beschleuniger Audi e-tron: Elektronen-Beschleuniger

Im Innern des e-tron das erste Aufatmen: Pedale für Bremse, Gas und ein rundes Lenkrad. Dazu klinische Instrumente und Schalterelemente mit Sensortasten. Es kann losgehen. Ein Druck auf den Starter und es passiert…nichts. Für Sekunden. Dann erhebt sich ein Bildschirm zwischen den beiden Runduhren im Armaturenbrett und der braun belederte Wählhebel fährt aus der Mittelkonsole. „Es kann losgehen“, macht Thomas Kräuter Mut. Wer die Ohren spitzt, hört ein mehr elektrisches denn elektrisierendes Surren und die Freigabe der automatischen Parkbremse. Abbiegen auf den Pacific Coast Highway Richtung Süden. Der e-tron liegt schwer und satt auf der Straße. „Der Wagen bringt es auf knapp zwei Tonnen“, erläutert Peter Kainz, Leiter Zukunftsentwicklung und Innovationen im Hause Audi, „das Serienmodell wird hinterher rund 1,6 Tonnen wiegen.“ Der Wagen beschleunigt. Man hört den Fahrtwind und spürt die raue Straße, doch das Grollen eines Viel-Zylinders im Rücken fehlt.

Nichts desto trotz schiebt der e-tron kraftvoll, aber alles andere als ungestüm an. Die vier Elektromotoren leisten insgesamt 313 PS. An den Radnaben liegen insgesamt mehr als 4.000 Nm Drehmoment an. Hört sich gigantischer an, als es sich real fährt. Doch wenn der e-tron scharf beschleunigt, fühlen sich die Insassen zumindest bis Tempo 100 wie Captain Future. Dann ist der Prototyp zur Sicherheit abgeriegelt. Die Sheriffs im hiesigen County wird es freuen. Bei kleinen Lenkmanövern gibt es keinerlei Neigung – der e-tron fährt sich wie ein Elektrobrett. Gebremst wird elektrisch und hydraulisch. An das Pedalgefühl muss man sich gewöhnen. „Derzeit reicht der Akku für rund eine Stunde fahren“, so Thomas Kräuter, „beim Serienmodell haben wir eine Zielvorgabe von 240 Kilometern Reichweite und 200 km/h Spitze.“ Bleibt abzuwarten, wer sich in der Zukunft damit zufrieden geben wird, in einem derartigen Sportwagen 200 km/h zu fahren. Doch vielleicht hat sich das Problem bis dahin sowieso erledigt. Dann bleiben immerhin noch 0 auf Tempo 100 in unter fünf Sekunden.

Audi e-tron: Elektronen-Beschleuniger Audi e-tron: Elektronen-Beschleuniger

Hohe Geschwindigkeiten sind bei Elektroautos ein bekanntes Problem. Ab Tempo 200 ist das Leistungsbegehren des Triebwerks so groß, dass die Akkus allzu schnell in die Knie gehen. Das Batteriemodul in dem Prototypen kommt von Sanyo, ist vor der Hinterachse positioniert und wiegt 470 Kilogramm. So schafft der e-tron seine Gewichtsverteilung von 42:58. Das leere Akkumodul soll sich in maximal acht Stunden aufladen lassen. Mit 400-Volt-Starkstrom sinkt die Ladezeit auf zweieinhalb Stunden. Dabei wird der Akku-Pack entweder über ein Stromkabel oder eine intelligente Induktionsschleife in der heimischen Garage ähnlich einer elektrischen Zahnbürste mit Energie versorgt.

Im Januar 2009 hatten die Entwicklungen am Audi e-tron begonnen. „Zunächst gab es nur einen Teileträger, auf dem wir die Aggregate ausprobiert haben“, berichtet Peter Kainz, „dann die ersten Testfahrten auf dem Sachsenring. Eine Woche vor der Messepremiere auf der IAA sind wir schließlich fertig geworden.“ Aktuell ist der Audi e-tron bereits kein Einzelstück mehr. Auf der Los Angeles Autoshow konnte Gouverneur Arnold Scharzenegger ein zweites, orange farbenes Modell begrüßen. Ende 2012 soll nach umfangreichen Erprobungen mit einer Handvoll Fahrzeuge eine Kleinserie folgen. Erst 10, dann 100 und dann vielleicht 1.000 Autos. Die elektrische Zukunft scheint kaum aufzuhalten. Außer von Gesetzen und Richtlinien. So durfte der Audi e-tron wegen seines Lithium-Akkus und einer fehlenden Homologation nicht per Flugzeug nach Los Angeles gebracht werden. Er kam daher per Schiff nach New York und wurde dann per Lastwagen über den ganzen Kontinent transportiert. Die Zukunft kommt manchmal eben doch langsamer als erwartet.

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Text: Stefan Grundhoff
Fotos: press-inform



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