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Mercedes-Benz G 55 AMG (1)

Das derzeit leistungsstärkste Modell der seit 1979 produzierten Mercedes-Benz G-Klasse ist der G 55 AMG Kompressor. 5,5 Liter Hubraum, ein V8-Motorblock mit Kompressorpaket zwischen den Zylinderbänken, 500 PS Leistung und 700 Newtonmeter Drehmoment. Erleben Sie die Geländewagen-Urgewalt im Classic Driver Fahrbericht.

Seien Sie auf der Hut. Der erste Eindruck täuscht. Fast ein wenig unschuldig wirkt der Blick der dezent überarbeiteten G-Klasse – aufgrund ihrer neuen runden Bi-Xenon-Scheinwerfer mit Abbiegelichtfunktion. Die neuen Leuchten ersetzen im Rahmen der letzten Modellpflege des Geländewagenklassikers die vorherigen Freiflächenscheinwerfer. Ansonsten ist der G eine vertraute Erscheinung: gewohnt selbstbewusst und breiträdrig steht der kantige Wagen auf dem sorgsam verlegten Granitpflaster. Ein stimmiges Bild gleichsam gediegener wie friedlicher Beschaulichkeit. So möchte man meinen.

Mercedes-Benz G 55 AMG (1) Mercedes-Benz G 55 AMG (1)

Doch welch ein Irrtum! Schon der zweite Blick spricht eine ganz andere Sprache. Wir sind hier nicht auf dem Parkplatz der Kurmittelgesellschaft von Bad Kissingen, sondern in Affalterbach. Beim Kundencenter von Mercedes-AMG. Und vor uns steht die Leistungselite aller G-Klassen. Der aktuelle G 55 AMG Kompressor. Während ich den Showroom mit dem ML 63 AMG und dem nachtschwarzen DTM CLK Cabriolet verlasse und auf den massiven Dampfhammer zugehe, rezitiere ich in Gedanken das technische Datenblatt des Über-G: 5,5 Liter Hubraum, bewacht von einem Kompressor, der über den acht Zylindern thront. 368 Kilowatt oder volle 500 PS Leistung. Summa summarum 700 Newtonmeter Drehmoment. Und die stehen ab 2.750 Umdrehungen pro Minute zur Verfügung. Genug Power, um unter unkundiger Führung ein Schaltgetriebe in metallischen Grobstaub zu zerlegen. Deswegen vertraut der 55er G auch unverändert auf den narrensicheren und überaus durablen 5-Gang-Automaten. Getankt wird - ganz klar - Super Plus. Und zwar reichlich. 96 Liter misst das Fassungsvermögen des Reservoirs im Heck des G. In den Tank des neuen Einstiegsmodell der G-Klasse, des G 320 CDI, passen genauso viele Liter. Nur eben Diesel und die verdoppeln dort schlagartig die Reichweite.

Mercedes-Benz G 55 AMG (1) Mercedes-Benz G 55 AMG (1)

Sportwagenwerte in der LKW-Klasse

Denn der G 55 AMG Kompressor ist ein trinkfester Bursche. Kein Wunder bei 2.550 Kilogramm Lebendgewicht. Leer wohlgemerkt. Es gibt ihn nur in der fünftürigen Ausführung als „Station lang“, wie das bei Mercedes so schön seit 1979 heißt. Die maximale Zuladung beträgt 650 Kilogramm. Macht zusammen 3,2 Tonnen Gesamtgewicht. Addieren wir noch rasch die 3,5 Tonnen gebremste Anhängelast hinzu, dann ergibt das unter dem Strich ein beeindruckendes Zuggesamtgesicht jenseits der 6,5 Tonnen. Das ist normalerweise längst behäbige LKW-Klasse. Normalerweise. Nicht so der G 55 AMG Kompressor: seine übrigen Daten weisen eher auf einen Sportwagen hin: den Sprint von 0 auf 100 km/h soll er in nur 5,5 Sekunden absolvieren. Tempo 200 stehen nach insgesamt nur 23 Sekunden auf der Uhr. – Eine Geschwindigkeit, welche 99 Prozent aller echten Geländewagen überhaupt nicht erreichen. Das Ende des Vortriebs geschieht auf elektronische Veranlassung bei 210 km/h. Ohne dieses Bauteil könnte der G 55 AMG sicher noch schneller. Wenn man ihn ließe.

Mercedes-Benz G 55 AMG (1) Mercedes-Benz G 55 AMG (1)

Ich drücke auf die Taste des Funkschlüssels. „Klack, klack!“ antwortet der Schließzylinder der Fahrertür. Metallisch, massiv. Ein Geräusch - typisch für die G-Klasse schon in früheren Baureihen, als die Mechanik der zentralen Verriegelung noch über das Türschloss bewegt wurde. Auch beim neuesten G-Modell ist alles vertraut. Die Materialien, die klare Anordnung der Armaturen - nichts wirkt verspielt oder designbedingt erzwungen. Der G ist vor allen Dingen eines: zeitlos. Die bekannten Hebel und Schalter finden sich an den Stellen, wo man sie intuitiv erwartet. Alles wirkt sachlich, sportlich und dezent luxuriös. Das schwarze Leder ist im G 55 AMG Kompressor noch geschmeidiger als sonst – „designo“ sei Dank.

Ich starte den Motor. Sofort melden sich die acht Zylinder zur Stelle. Die vier Sidepipes, je zwei auf jeder Seite vor den hinteren Radhäusern, bollern und posaunen sich die Stimme frei. „Alle aufgewacht?“ Dabei ist es doch nur der Leerlauf, der sich hier akustisch warm spielt. Leicht touchiere ich das Gaspedal aus genopptem Aluminium. Sofort schnellt die Drehzahl nach oben, der ganze Wagen wiegt sich sanft im Aufbäumen des Achtzylinders und scheint sich zu wundern, dass noch die Fahrstufe „N“ eingelegt ist. Ich greife tief runter zur Mittelkonsole. Der kurze Stock der Getriebeautomatik rastet hörbar auf „D“ ein. Abermals drücke ich das Gas nach vorne. Und jetzt geht es los. Der G rollt vom Granit.

Dort drüben grüßt das Jägerstübli

Mercedes-Benz G 55 AMG (1) Mercedes-Benz G 55 AMG (1)

Achtsam bugsiere ich den starken Geländewagen vom AMG-Werksgelände, biege mit dem unterschwelligen V8-Wummern auf die Kreisstraße ein. Dort drüben grüßt das Jägerstübli. Vor mir das Ortsschild von Affalterbach. Mit einem roten Balken – quer darüber: freie Fahrt! Entfesselte Kraft. Schlagartig wird es laut. Die rote Tachonadel zuckt über die Skala, die auf der anderen Seite des Halbrunds erst bei 260 km/h endet. Der G - er geht gut. Und er geht ab.

Die acht Zylinder hämmern die Amboss-Polka aufs Metall. Bei mir meldet sich der Vernunftsinn. Nicht, dass ich mich zügeln wollte, ich möchte es nur schon etwas genauer wissen. Acht Zylinder, die an der Kurbelwelle hängen und wie wild auf meinen Befehl drauf los prügeln. Das macht bei 5.000 Umdrehungen 40.000 Schläge. „Autsch, das tut weh!“ Dermaßen unter Dauerfeuer stehend, schmeißt sich der große G mit aller Macht nach vorne. Die Geschwindigkeit – längst dreistellig. Aufrecht, wie in einem Lastkraftwagen sitzend, habe ich auf holpriger Strecke und lang gezogenen Bodenwellen einige Mühe, den Kastenwagen auf Kurs zu halten. Denn fliegende Räder übertragen keine Lenkkräfte. Und die 2,5 Tonnen Leergewicht in die Luft zu bekommen, das ist mit diesem Kraftwagen eine der leichtesten Übungen. Soviel steht nach wenigen Kilometern fest. Der G 55 AMG bietet Erfahrungen im Grenzbereich.

Bleiben Sie gespannt. Weitere Fahreindrücke, Einblicke in die lange Geschichte der Mercedes-Benz Geländewagen, der Marke AMG und auch unser Classic Driver Video mit dem G 55 AMG erleben Sie im zweiten Teil unserer Fahrberichts: „Geländelegende“.

Text & Fotos: Mathias Paulokat


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