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Magazin

Jensen FF

Fourwheel Forward

Text: Mathias Paulokat
Fotos: Jan Baedeker

Revolution im Verborgenen: 1966 setzte der 325 PS starke und über 200 km/h schnelle Jensen FF mit seinem Allradantrieb neue Maßstäbe im Segment der Personenkraftwagen. Der sachlich wirkende und nur 320 Mal produzierte Jensen FF ist heute ein Q-Car im ureigenen Sinn und damit eine echte Empfehlung für Insider. Sollte Ihnen, was kaum zu vermuten ist, ein verkäufliches und technisch gepflegtes Exemplar über den Weg kommen, empfehlen wir: Prüfen. Handeln. Kaufen! Zuvor jedoch studieren Sie noch unser kleines Classic Driver Repititum über dieses Ausnahme-Auto. Dann wissen Sie, warum wir zu dieser dezidierten Kaufempfehlung gelangen.

„Wer hat´s erfunden – den permanenten Allradantrieb bei Personenkraftwagen?“ Nein, Audi war es nicht. Der Ingolstädter Quattro-Antrieb kam erst ein gutes Dutzend Jahre später auf den Markt. Waren es die Amerikaner - die hatten doch den Willys Overland Jeep? Richtig, den hatten sie. Der Allradantrieb in Personenkraftwagen kam dort allerdings auch erst viel, viel später ins Programm. Stopp, jetzt haben wir es: Dann war es bestimmt der „Erfinder des Automobils“, ergo Mercedes-Benz. Die haben doch schließlich auch das G-Modell auf die Räder gestellt. Haben sie und zudem noch den Allradantrieb vor über 100 Jahren in einem Expeditionsfahrzeug für Deutsch-Süwestafrika verbaut. Doch den Allradantrieb im PKW-Bereich, Stichwort 4-Matic, brachten die Stuttgarter erst in den 1980er Jahren auf den Markt.

„Also, wer war’s?“ drängeln jetzt nicht nur eilige Leser. Die Briten! Namentlich die Konstrukteure von Jensen Motors aus West Bromwich bei Birmingham. Die setzten ein Patent von Ferguson Research ein, welches auf den Nordiren Sir Harry Ferguson zurückging - seines Zeichens bekannt als erfolgreicher Traktorenhersteller mit Unternehmen wie Massey Ferguson. Sir Harry entwickelte bereits in den späten 1950er Jahren die Vision eines sicheren Serienwagen mit Allradantrieb. Ferguson erkannte das Plus an Sicherheit und wollte dieses zur Serienreife treiben. Alle Energie floss in das Projekt mit dem Codenamen „P99“. Das Ergebnis war ein Rennfahrzeug, welches am 8. Juli 1961 sein Debüt in Silverstone gab. Kein anderer als Sir Stirling Moss pilotierte den Wagen später beim Oulton Park Gold Cup Race zum Sieg. Ferguson gleichwohl wurde all dessen nicht mehr gewahr. Er war bereits im Oktober 1960 nach einem Kreislaufkollaps mit Mitte Siebzig verstorben. Immerhin wurde ihm im Jahre 2008 posthum eine nordirische Pfundnote gewidmet, welche ihn und eines seiner Traktormodelle zeigt. Eine späte, jedoch allzu verdiente Ehre.

Technik: (r)evolutionär

Der bemerkenswerte Allradantrieb des P99 hatte längst eine andere Fahrzeugschmiede auf den Plan gerufen. Eine Manufaktur, die nicht weniger durch ihre unkonventionellen Ansätze von sich reden machte – als exklusiver Nischenhersteller wohlgemerkt: Jensen Motors Limited. Doch sollte es bis Mitte 1964 dauern, bis Jensen die konkrete Planung dieses Antriebskonzeptes in den großzügigen, neuen und auffallend kühlen Wagen, den Jensen Interceptor, zu implantieren suchte. Tatsächlich basierte der erste Prototyp des Allradfahrzeugs noch auf dem eher barocken und mit Glasfaser karossierten Jensen CV-8. Doch war dieses Automobil von Anfang an als technische Machbarkeitsstudie gedacht.

Jensen Motors selbst geht auf die Brüder Richard und Alan Jensen zurück. Deren Vater erkannte und förderte das Talent der beiden, indem er ihnen Mitte der 1920er Jahre einen Austin Seven kaufte, den die beiden neu einkleiden durften. Kurze Zeit später war der Jensen Special Number One entstanden und der Grundstein für das spätere Unternehmen gelegt. Es folgten weitere gemeinsame Gehversuche der Jensen-Brüder bei anderen Fahrzeugbetrieben. Erst 1934 trat die Jensen Motor Ltd. handelsregisterlich in Erscheinung. Gegenstand der Firma: Die Erstellung sportlicher Sonderkarosserien für Autos von der Stange. Schauspieler Clark Gable verschaffte den Brüdern mit einem beachtenswerten Auftrag einige Aufmerksamkeit, indem sie seinen Ford V8 mit einer neuen Karosserie ausstatten durften. Während des zweiten Weltkrieges ruhte bei Jensen das Geschäft mit Personenkraftwagen. Die Firma überlebte dank Fahrzeug-Aufträgen der Rüstungsindustrie. Erst ein lukrativer Auftrag von Austin-Healey ermöglichte im Jahr 1953 die Konstruktion eines eigenen Sportwagens des Typs 541. Auf dieses Fahrzeug folgte der CV-8 mit zunächst dem 5,9-Liter messenden V8-Motor von Chrysler. Der CV-8 diente dann auch auch als besagter Prototyp für den späteren Serien-FF.

FF. Das Kürzel steht für Formula Ferguson, Synonym für den Allradantrieb. Dieser ist im Jensen FF erwartungsgemäß permanent ausgelegt. Die besondere konstruktive Herausforderung bestand darin, alle Komponenten unter der zwar langen, aber doch recht flachen Karosserie verstaut zu bekommen, wo auch der 325 PS starke Motor Platz fand. Dies war nur durch aufwendige Umgestaltung des Interceptor Vorderwagens möglich. Optisch wirken FF und Interceptor zwar ähnlich; den längeren Vorderwagen des FF verrät jedoch die doppelte Kieme an den Fahrzeugflanken sowie auch der andersartige Lufteinlass in der Motorhaube. Unter dem Blechkleid war der Allradantrieb mit der zusätzlichen Kardanwelle und dem Differenzial auf einen Rechtslenker ausgelegt – links waren die Komponenten angeordnet, mit deutlichem Eingriff in den Beifahrerfußraum. So ist die Antriebstechnik einerseits evolutionär, weil sie auf bestehende Technologien aufsattelte. Und revolutionär andererseits, weil es Jensen erstmals gelang, dieses Antriebskonzept in einem PKW, einen sportlichen noch dazu, umzusetzen.

Design: Coupé en large

Und noch ein technischer Leckerbissen: Der Jensen FF verfügte ab Werk auch über ein Maxaret-ABS-System. Dieses stammte von Dunlop und war somit auch klar vor dem Mercedes-ABS am Start. Das gestalterische Grundkonzept des Jensen FF wirkt sachlich und elegant. Eine klassische Coupé-Form – allerdings in den Abmessungen einer Limousine. Gut 4,85 Meter in der Länge waren und sind für einen Zweitürer ein deutliches Statement. So steht der Jensen FF wie auch der Interceptor als echter Gran Turismo vor dem Betrachter. Auffälligstes Merkmal ist die große Panorama-Heckscheibe, die dem Zeitgeist der 1960er Jahre entsprach und doch bis heute zeitlos und vorteilhaft wirkt. Die Beständigkeit dieser Form zeigt sich heute auch darin, dass es mit dem V Eight Jensen Interceptor S seit geraumer Zeit eine „relative Reinkarnation“ des Klassikers gibt.

Die ruhige Linie, die der Jensen vermittelt, fand sich in dessen Findung allerdings nicht wieder. Tatsächlich gab es hitzige Diskussionen im Management-Board, wie denn das Projekt Interceptor/FF auszusehen hätte. Entgegen der Jensen-Brüder setzten sich die Board-Mitglieder Beattie und Owen durch, die in West Bromwich aufbrachen, um in Italien die angesehenen Karosseriebaubetriebe aufzusuchen. Ghia, Touring Superleggera und Vignale standen im Roadbook der Briten. Das Resultat dieser Erkundungsreise verblüffte: Touring entwickelte das gewünschte Design des neuen Fahrzeugs, sah sich selbst jedoch außer Stande, auch die tatsächliche Produktion der Karosserien zu stemmen. Über ausreichende Fertigungskapazitäten verfügte jedoch Mitbewerber Vignale. Und so wurden die Karosserien kurzerhand hier gefertigt.

Trotz dieser zugkräftigen Namen, des bemerkenswerten technischen Konzepts und sehr repektabler Fahrleistungen – ein gut eingestellter FF fährt heute noch über 200 km/h in der Spitze – blieb der durchschlagende kommerzielle Erfolg aus. Der Jensen FF erntete zahlreichen Respekt, die Form Beifall und die Initial-Produktion war sogar vergriffen. Doch der Erfolg war nicht von Dauer. Einer der Gründe: Die alleinige Verfügbarkeit als Rechtslenker. Ein weiterer: Jensen legte die erheblichen Entwicklungskosten direkt auf den Kaufpreis um. Und so kostete der FF mit Allradantrieb ein Drittel mehr als das ohnehin schon teure Schwestermodell, der Jensen Interceptor. Das akzeptierten die Käufer angesichts der seinerzeit unter ästhetischen Gesichtspunkten attraktiven GT-Alternativen nicht. So entstanden insgesamt nur 320 Exemplare des FF im sechsjährigen Produktionszeitraum von 1966 bis 1971. Die Marke Jensen zählt somit wie auch Bristol oder TVR zu den wunderbaren Kuriositäten, welche die britische Klassiker-Szene erst so spannend macht. Gebe es diese Marken nicht, müßte man sie erfinden!

Die Fakten

Hersteller:
Jensen Motors, West Bromwich

Modell:
FF – Formula Ferguson

Fahrzeugtyp:
GT, Coupéform

Karosserie:
Stahlkarosserie

Motor:
6,3-Liter-V8-Benzinmotor, Marke Chrysler

Leistung:
rund 325 PS

Antrieb:
Allradantrieb

Abmessungen:
4.852 mm Länge, 1.753 mm Breite, 1.395 mm Höhe

Radstand:
2.769 mm

Leergewicht:
1.727 Kilogramm

V-max:
über 200 km/h

Beschleunigung:
von 0 auf 100 km/h in unter acht Sekunden

Produktionszeit:
von 1966 bis 1971

Produzierte Stückzahl:
320 Exemplare

Herkunftsland:
Great Britain