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VW Golf GTI: Drei Buchstaben, dreieinhalb Jahrzehnte

Vor 35 Jahren brachte VW den ersten Golf GTI auf den Markt. Grund genug, den sportlichen Kompakten mit einem Sondermodell gebührend zu feiern, dem Golf GTI Edition 35. Classic Driver ist den wilden Wolfsburger probegefahren und blickt zurück auf dreieinhalb Jahrzehnte GTI.

Im Jahr 1976 waren die Kragen der Hemden lang, die Absätze der Schuhe hoch und der Mann von Welt trug Kotelette. In dieser Zeit modischer Grausamkeit stieß der VW Golf GTI. Bei seiner Vorstellung schien es, als habe die verschworene Entwicklermannschaft rund um Alfons Löwenberg bereits geahnt, dass bald Schluss sein sollte mit der Opulenz der 70er. Der erste Golf GTI wirkte mit seinen mattschwarzen Accessoires wie der aufgeklebten Zierfolie um die Heckscheibe, dem vergrößertem Frontspoiler und den Kotflügelverbreiterungen fast schon bieder. Lediglich der rote Rand um seinen Kühlergrill ließ Umstehende vermuten, dass es dieser Golf faustdick unter der Haube haben musste. Im Innenraum dominierten Sitzbezüge mit Schottenmuster sowie ein Dreispeichenlenkrad mit „Spucknapf“. Doch dies waren nur Statisten in einem Film, in dem das niedrige Leergewicht von rund 810 kg, ein ebenso einfaches wie sportliches Fahrwerk und ein 1,6 Liter großer und 110 PS starken Einspritzer die Hauptrolle spielten. Kaum ein Kompakter war bis dato in der Lage, mit fast 180 km/h die linke Spur zu schneiden und binnen 9,0 Sekunden auf 100 km/h zu sprinten. Das alles bei verblüffender Handlichkeit und kleinwagenhaftem Verbrauch. Eine neue Klasse war geboren.

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Zwar war der Golf I GTI vom Start an überaus erfolgreich, doch den meisten fiel er erst auf, als er gegen Ende der Bauzeit zum Sondermodell Pirelli aufstieg. Damals wandelte sich auch sein Image, und man sah ihn in schickem Heliosblau oder Lahsagrün durch die Boutiquenalleen der Metropolen düsen. Am Steuer nicht selten die blonde Geschäftsfrau mit Hermès-Tüchlein und Etienne Aigner Acessoires. Es war die Zeit, als Edeltuner den Kompakten für sich entdeckten. Laut und grell war zwar nach wie vor gefragt, doch mit Büffelledersitzen, lackierten dreiteiligen BBS-Alurädern oder edlen Clarion-Radiotürmen begann der Siegeszug des Über-Golfs. Seine motorische Krönung erlebte der Golf I in einer von VW finanziell unterstützten Sonderserie des Tuningaltmeisters Oettinger. Aus einem 1,6-Liter-Vierzylinder 16V generierte das Auto 170 PS.

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In welchem Autoolymp der GTI zwischenzeitlich angekommen war, wurde deutlich, als 1984 die Fangemeinde das Erscheinen des Golf II GTI mit dem Weltuntergang verglich. Zu schwer, zu groß und zu langsam waren die harmlosesten Vorwürfe. Dabei hatte Volkswagen das Auto nur den gestiegenen Anforderungen nach Sicherheit und Komfort angepasst. Doch nachdem der 1,8-Liter-Motor dank Vierventiltechnik auf 139 PS erstarkte, war wieder alles im Lot. Wie ernst es den Wolfsburgern mit dem Luxusflitzer mittlerweile geworden war, belegte eine Sonderedition mit 1,8-Liter-16V-Motor und G-Lader. Der ausschließlich in Dunkelblau lieferbare Allradgolf brachte es auf 210 PS und wurde nur 71 Mal an Freunde des Hauses abgegeben.

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Dem Volk blieb stattdessen nur der Erwerb des Rallye-Golfs, einem etwas flügellahmen Allradler mit Teilledersitzen und verbreiterten Kotflügeln im Urquattro-Stil. Für den Understatementfreak stand zudem noch ein Golf GTI G60 in den Preislisten, der äußerlich dem biederen GL von Tante Ute nicht unähnlich war, innen aber mit Lederrecarositzen, E-Fensterhebern und Klimaanlage auftrumpfen konnte. Der 160-PS-Renner, den es in ganz geringer Stückzahl auch als allradgetriebenen Syncro gab, brachte es auf eine Topspeed von 220 km/h und beschleunigte binnen sieben Sekunden auf 100 km/h. Fahrleistungen, die vor allem den heimlichen Konkurrenten BMW 325i oder Porsche 944 wehtaten.

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Über Ausgabe drei des Millionensellers kann man getrost den Mantel des Schweigens bereiten. Zu schwer und vor allem zu emotionslos kam der zusätzlich als GTI-Edition erhältliche Kompaktsportler daher. Sowohl der anfangs präsentierte 2,0-Liter mit 115 PS, als auch der 139 PS starke 16V verhalfen diesem Golf nicht zu dem Fahrvergnügen, für das sein Namenskürzel seit zwei Generationen stand. Das war schon eher beim Golf VR6 mit 174 PS zu finden, nur der war eben kein GTI.

Ausgabe Nummer vier war von ähnlichem Charakter und fristete trotz verschiedener Motorausbaustufen ein Schattendasein. Es schien, als hatte VW verlernt, was das Thema GTI einst ausmachte. Denn statt auf wendige Agilität setzte man in Wolfsburg lieber auf den durstigen V6, der mit Allradantrieb zum 241 PS starken Golf R32 aufgestiegen war. Sogar eine 150-PS-Diesel-Varainte gab es, VW verzichtete hier jedoch – vermutlich aus Scham – auf die prominente Anbringung des einst so begehrten Labels.

Kampagne Golf GTI aus dem Jahr 2005 mit dem Slogan Für Jungs, die damals schon Männer waren wurde mit dem Advertiser of the year-Award in Cannes ausgezeichnet.

Erst mit Ausgabe Nummer fünf vollzogen sich die dunklen Wolken über der GTI Fangemeinde. Das 200 PS starke TFSI-Aggregat sorgte für standesgemäßen Dampf in allen Lagen, und das exzellente Fahrwerk sorgte für die gewünschte und lange vermisste Agilität. Der Star von einst war zurück, wenn auch in seinem Wesen gereifter. Denn die spartanische Leichtigkeit von einst war schon aufgrund der kompletten Sicherheitsausrüstung sowie der zahlreichen Komfortoptionen nicht mehr zu realisieren. Doch wie schon 1976 traf VW erneut ins Schwarze, nicht zuletzt, weil sich auch die Kunden von damals weiterentwickelt hatten und den neuen, alten GTI genauso wollten wie er jetzt war.

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Diesen Kunden dürfte auch das neueste Angebot von VW zusagen. Zu seinem 35. Geburtstag stellt VW ein Sondermodell auf die Räder, das es in sich hat. Angetrieben von einem gedrosselten 2,0-Liter-Turbomotor aus dem Topmodell Golf R mit 235 PS sorgt dieser Golf für viel Fahrspaß. Knackiges Fahrwerk mit in der Härte verstellbaren Dämpfern, 18 oder optional 19 Zoll Alurädern sowie zahlreichem zeitgenössischem Zierrat präsentiert sich der GTI 35 in bester Verfassung. Das neue Triebwerk produziert in Verbindung mit dem perfekt abgestimmten 6-Gang-DSG Fahrleistungen im Sportwagenbereich. Neben der Höchstgeschwindigkeit von 247 km/h sind es vor allen die Zwischensprints, die in Fahrstufe S das Gefühl von damals zurückbringen. Kommen dabei wechselhafte Fahrbahnbeläge und winklige Kurven in die Quere, sind Fahrer und Beifahrer in den mit dem klassischen Schottenkaro „Jacky“ bezogenem Sportgestühl bestens aufgehoben. Bi-Xenon-Scheinwerfer sowie abgedunkelte LED-Rückleuchten komplettieren das rund 30.000 Euro teure Angebot.


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Jede Wette: Sollte der GTI Edition 35 der letzte Jubiläums-Golf sein, den Volkswagen auflegt – der GTI-Fan würde ihn diesmal behalten. Für immer.

Text: Sven Jürisch
Fotos: VW / Oettinger