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Maserati: Legende und Erbe



Juan Manuel Fangio ist eine Legende. Der Auto Union Typ C von 1936 ist eine Legende. Eine Rennfahrerlegende ist auch Maria-Teresa de Filippis, die über 200 Rennen fuhr und als erste Frau erfolgreich in der Formel 1 kämpfte. Automobillegenden sind auch der Maserati 250F und der Maserati 450S, die beide in der zweiten Hälfte der 50er Jahre der italienischen Sportwagenschmiede zu neuen Erfolgen verhalfen. Classic Driver traf die Legenden der Maserati-Geschichte, um mit ihnen zu ergründen, ob die neueste Kreation, das Coupé GT, auch die Gene zum Ruhm besitzt.

Sie möchte ihn ohne Cambiocorsa“, bestimmt Theo Huschek, „sie bevorzugt wie immer Handschaltung.“ Elektronik brauche sie einfach nicht. Und Maria-Teresa de Filippis’ Ehemann wird Recht behalten. Als die erste erfolgreiche Formel-1-Amazone der Rennsportgeschichte die Gerade auf unseren Fotoset zu entlangrast, versteht sie es, Jahrzehnte nach ihrer Rennfahrerkarriere, wieder mit kurzem Zwischengas so herunterzuschalten, dass uns der Sound des professionellen Motorsports in den Ohren erklingt. Auf der Landebahn des alten Militärflughafens bei Mönchengladbach darf sich Frau de Filippis (76) so richtig austoben. „Ihr“ alter Maserati 250F und der Maserati 450S stammen aus ihrer großen Rennzeit Ende der 50er Jahre, das Coupé GT, das sie mit größter Präzision bewegt, ist ein Neubau.



Es fing alles 1953 mit einer Wette an. Weil Maria-Teresa auch gleich ihr erstes Rennen gewann, entflammte sofort eine ewige Leidenschaft für Geschwindigkeit. Sie sollte insgesamt über 200 Rennen fahren und 1958 in der Formel 1 starten, eine ungeheure Leistung für die zierliche Frau in dieser Zeit. Doch Maria-Teresa wusste sich stets zu behaupten, was ihr an Körpergröße fehlte, machte sie mit ihrem temperamentvollem Auftreten wett. Mit einem 10. Platz in Spa-Francorchamps ist sie seitdem die erste erfolgreiche F1-Fahrerin in der Geschichte. Als Maserati-Werksfahrerin wurde sie mit einem A6GCS Zweite in der 2000-Sport-Championship von 1955. Insgesamt umfasst ihre Rennfahrerkarriere vier Siege, elf zweite Plätze und drei Drittplatzierungen, unter anderem stellte sie einen Rekord im Bergrennen Catania-Enna auf, der für drei Jahre unübertroffen war. Ihr liebster Gefährte war der Maserati 250F, den sie ab 1958, ein Jahr nach der Maserati-Weltmeisterschaft mit Fangio, fuhr. Nachdem sie 1959 geheiratet und den Rennsport nach aufregenden Jahren aufgegeben hatte, kehrte sie 20 Jahre später als Generalsekretärin des „Club International des Anciens Pilotes de Grand Prix F 1“ (Internationaler Club der ehemaligen F1-Grand-Prix-Fahrer) in die Szene zurück. Heute ist sie Vizepräsidentin dieser ehrwürdigen Motorsportinstitution.

Coup der Geschichte – der 250F wurde von abgeworbenen Ferrari-Ingenieuren getrimmt



Im 250F fühlt sie sich wie zu Hause. Und genau dieser Maserati-Monoposto entstammt einem großen Coup des Motorsports. Zu Beginn der 50er Jahre war Maserati mit vergleichsweise schwachen Vierzylindermotoren nicht überaus erfolgreich. Es gelang, zwei der besten Rennwagenexperten der Zeit bei der Konkurrenz abzuwerben: Ferraris Chefdesigner Gioacchino Colombo und den Ingenieur Valerio Colotti. Deren Entwicklungen für den 250F waren das Chassis, das Fahrwerk und das Getriebe. Speziell für die neue 2,5-Liter-Formel wurde der Motor des 250F gebaut – und damit einer der wenigen konkurrenzfähigen Motoren seiner Klasse für Privatfahrer angeboten. Der Reihen-Sechszylinder leistete 220 bis 270 PS bei 7.200 bis 8.000 Umdrehungen pro Minute und war damit ein reinrassiger Formel-1-Monoposto. Das Aggregat basierte auf der Maschine des A6SSG, welcher eine unkomplizierte Anordnung des Ventiltriebs, des Auspuffkrümmers und anderer Anbauten ermöglichte. Betrieben wurde er mit einer Mischung aus 50 Prozent Methanol, 35 Prozent Benzin, zehn Prozent Azeton, vier Prozent Benzol und ein Prozent Öl. Das Benzin hatte nur 80 Oktan, aber mit dem Azetonzusatz verbrannte es schneller. Zur Vermischung des Methanols mit dem Benzin wurde das Benzol benötigt. Da der Alkohol die Zylinderwände vom Ölfilm rein wusch, musste man schließlich weiteres Öl direkt mit der Tankfüllung zugeben. Durch ein radikaleres Mischungsverhältnis konnte man die Leistung des Motors deutlich steigern, was aber der Zuverlässigkeit abträglich war. Die Ausbalancierung und das Fahrwerk des 250F sind ebenfalls legendär. „Er ließ sich wunderbar steuern“, erinnert sich Maria-Teresa de Filippis, „und zeigte stabiles Übersteuern, was kontrollierte Drifts in Kurven ermöglichte.“



1957, als Fangio mit dem 250F die F-1-Weltmeisterschaft für Maserati gewann, machte der 450S von sich reden: Alle Rennen, bei denen er teilnahm, wurden gewonnen – um genau zu sein, bedeutete das zwei Siege in der Saison. Der Achtzylinder produzierte so viel Leistung, dass der auf 400 PS limitierte Motorenprüfstand dies nicht mehr anzeigen konnte. Der Klang des 4,5-Liter-V8 beim Beschleunigen lässt noch heute erschaudern – die akustische Assoziation von Kraft im Kopf. Die Originalkonfiguration leistete 400 PS bei 7.200 Umdrehungen und ermöglichte eine Spitzengeschwindigkeit von 320 km/h.

Letzte Entscheidung beim Grand Prix Venezuela

Maserati: Legende und Erbe Beim ersten großen Auftritt bei den 1000 Kilometern von Argentinien 1957 passierte ein Missgeschick – Juan Manuel Fangio und Stirling Moss blieben mit einem Kupplungsschaden liegen. Wenige Monate später nur errangen Fangio und Jean Behra in Sebring den ersten Sieg für den 450S (Chassis Nr. 4503). Abgesehen von diesem Erfolg waren die Rennsportanfänge des 450S eher negativ geprägt. So konnte Behra bei der Fahrt zur Mille Miglia bei 240 km/h einem Lastwagen nicht mehr rechtzeitig ausweichen; der Wagen wurde bereits vor Rennbeginn komplett zerstört. Hauptziel für Maserati jedoch war es, mit dem 450S in Le Mans einen Sieg einzufahren. Für Moss wurde eigens eine aerodynamisch optimierte Coupé-Variante geschaffen – von Frank Costin entworfen und innerhalb weniger Tage in der Zagato-Schmiede aufgebaut (Chassis Nr. 4501; später umgebaut für Straßenzulassung, spätere Chassis-Nr. 4512). Auf der Strecke zeigte Moss sein ganzes Geschick und seinen Siegeswillen und fuhr bis auf den zweiten Platz, in der 38. Runde zwang ihn jedoch ein Hinterachsschaden zur Aufgabe; dieser Wagen ist heute im privaten Automuseum Rosso Bianco in Aschaffenburg zu sehen. Obwohl 1957 Le Mans und später auch der Grand Prix auf dem Nürburgring verloren gingen, war Maserati immer noch im Rennen um die Weltmeisterschaft, die mit dem darauf folgenden Sieg beim schwedischen Grand Prix mit Fangio und Behra näher rückte.

Maserati: Legende und Erbe Der letzte und entscheidende Grand Prix dieser Saison war Venezuela. Mit drei Wagen, zwei 450S und einem 300S, war man angereist. Doch dann passierte eine Serie von unglaublichen Ereignissen, die dieses Wochenende zum Desaster der Renngeschichte von Maserati werden ließ. Einen Tag vor Rennbeginn verstarb der Teammanager, doch dies warf Maserati noch nicht aus der Bahn. Im Rennen wurde der 450S von Moss dann durch eine Kollision mit einem AC Bristol zerstört. Der zweite 450S geriet beim Auftanken in Brand, doch das Feuer konnte gelöscht werden, und Schell fuhr mit dem Wagen wieder raus auf die Strecke. Damit nicht genug. Als Schell versuchte, den 300S von Jo Bonnier auf einer Geraden zu überholen, explodierte der Motor des 300S – Bonnier verlor die Kontrolle und stieß direkt in Schells Wagen. Beide Rennwagen wurden komplett zerstört, und die Hoffnung auf den Weltmeisterschaftstitel war endgültig dahin. Ab 1958 durften nur noch Dreilitermotoren bei den Weltmeisterschaftsläufen starten, daher ging man mit dem 450S in die USA, wo der Wagen in den nächsten Jahren die Rennszene dominierte. Sieben der insgesamt zehn gebauten 450S verblieben damals in den Vereinigten Staaten.



„The front-engines sports Maseratis were among the nicest, best-balanced sports-racing cars ever made“ Sir Stirling Moss

Der Motor des neuen Maserati Coupé GT basiert auf dem Know-how von Ferrari-Ingenieuren. Doch anders als damals musste Maserati hierzu niemanden abwerben. Die technischen Daten versprechen bereits eine der Tradition angemessene Grundgeschwindigkeit. In den Händen von Maria-Teresa de Filippis versprüht das neue Maserati Coupé GT sogar eine gehörige Portion Rennsport. „Das ist wieder ein echter Maserati“, urteilt de Filippis. Maserati ist mit dem Coupé GT sicherlich auf dem richtigen Weg. Ob es im Interesse von Ferrari liegt, sich heutzutage einen wie 1957 mit dem 250F und dem 450S überlegenen Gegner auf den Rennstrecken zu züchten, bleibt fraglich. Vorerst dürfen die Maserati im nächsten Jahr nur in der eigenen Serie „Maserati Trofeo“ starten.



Maria-Teresa de Filippis braucht auf jeden Fall ein Maserati Coupé GT für sich allein. Als gewöhnliche Beifahrerin kehrt die gebürtige Neapolitanerin ihr italienisches Temperament heraus. Nicht, dass sie sich von der elektronischen Cambiocorsa-Schaltung gestört fühlt. Aber man muss verstehen, dass eine rassige Rennfahrerin, wie sie es stets geblieben ist, nur Ebenbürtige als Fahrer akzeptieren kann. Und so dürfte sie eigentlich nur ihr langjähriger Mitstreiter Tony Brooks chauffieren. Meint jedenfalls Maria-Teresa de Filippis, Maseratis weibliche Legende.



Der Maserati 250F und der Maserati 450S wurden von Privatsammlern zur Verfügung gestellt und von der Firma Capricorn perfekt vorbereitet. Das Maserati Coupé GT wurde von Tamsen aus Bremen gestellt. Der von de Filippis pilotierte 450S gewann die diesjährige Le-Mans-Classic-Teamwertung unter seinem Besitzer Hartmut Ibing.


Text: Norman Wagner / car. - Fotos: Bernd Quaas


Technische Daten

Maserati: Legende und Erbe Maserati 250F
Motor: 6-Zylinder-Reihenmotor, je zwei Ventile pro Zylinder, 2492 ccm Hubraum
Max. Leistung: 270 PS bei 8000/min.
Baujahre: 1954-58
Getriebe: fünf Gänge
Spitzengeschwindigkeit: ca. 260 km/h

Maserati 450S (Chassis Nr. 4502)
Motor: 8 Zylinder, 4477 ccm Hubraum
Max. Leistung: 400 PS bei 7200/min.
Baujahr: 1956, in die USA geliefert, Anfang der 90er Jahre nach Deutschland verkauft
Aktiv eingesetzt: 1956-58
Getriebe: fünf Gänge und Rückwärtsgang
Spitzengeschwindigkeit: 320 km/h

Maserati Coupé GT
Viersitzer
Motor: 8 Zylinder, 4244 ccm Hubraum
Max. Leistung: 390 PS bei 7000/min.
Baujahr: ab 2002
Getriebe: 6-Gang-Manualschaltung oder elektronische Cambiocorsa-Schaltung
Spitzengeschwindigkeit: 285 km/h