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Der Concorso d’Eleganza Villa d’Este war eine spektakuläre automobile Renaissance

Am letzten Wochenende kehrte der Concorso d’Eleganza zur Villa d’Este zurück und erinnerte uns daran, dass Zeit relativ ist, Autos im besten Falle wunderschön sind und wir uns viel zu lange nicht mehr gesehen haben…

Das Grand Hotel Villa d’Este am Ufer des Comer Sees war schon immer eine Blase, unbehelligt von Zeit und Alltag – erst recht während des Concorso d’Eleganza. Aber am vergangenen Wochenende, nach einer fast zweijährigen Pause, fühlten sich Teilnehmer und Zuschauer noch privilegierter, durch das Portal der Pandemie zu treten und die Anblicke, Geräusche und vor allem die Freuden des geselligen Beisammenseins bei diesem außergewöhnlichen Treffen von Autoenthusiasten genießen zu dürfen. Erstmals fand der Concorso d’Eleganza im Oktober statt im Mai statt. Und während einige Autobesitzer ängstlich beobachteten, wie die Kastanien knapp neben ihren frisch polierten Millionenskulpturen auf Rädern zu Boden fielen, bestand die eigentliche Herausforderung darin, mehr als 50 höchst zerbrechliche und wertvolle Autos aus aller Welt trotz weiter bestehender Reiserestriktionen und Einschränkungen im internationalen Frachtschiffverkehr nach Italien zu transportieren. Aufgrund der Pandemie hatten die Organisatoren auch den öffentlichen Besuchertag in der Villa Erba abgesagt, wodurch der Concorso d’Eleganza noch exklusiver und abgeschotteter war als bislang schon. Glücklicherweise wurden lokale Autoenthusiasten am Sonntag zum Fuoriconcorso in der Villa del Grumello zugelassen, um dort eine Dosis Turbo-Autokultur genießen zu können.

Trotz dieser Situation hat die Auswahlkommission bemerkenswerte Arbeit geleistet, um eine Reihe außergewöhnlicher Autos aus allen Epochen zu kuratieren und dabei einen Bogen von den Touring-Torpedos und rassigen Roadstern der 1920er Jahre bis zu den futuristischen Hypercars der Jahrtausendwende zu spannen. Wie immer wäre jedes der Autos, die um den Titel „Best of Show“ kämpfen, ein umfangreiches Feature auf Classic Driver wert. Dennoch gab es Automobile, die sich durch besondere Schönheit, Eleganz, und Originalität – oder den Überraschungseffekt – auszeichneten. Beim chronologischen Rundgang über die Terrasse der Villa d'Este waren wir begeistert vom Hispano Suiza H6 B Dual Cowl aus dem Jahr 1926, der vom Industriedesigner Marc Newson an den Comer See gebracht wurde. Ebenso von dem nur wenige Meter entfernt geparkten hellgrünen Alfa Romeo 6C 1750 GTC von 1931 mit Zagato-Karosserie und einem perfekt erhaltenen Innenraum, der in der Herbstsonne noch besser duftete als das raffinierteste italienische Parfüm. Und während ein meisterhaft gestalteter Lancia Astura Torpedo GS von 1934 mit seinen durch einen Querschott abgetrennten Rücksitzen und der extravagante Delage D8-120 S von 1938 mit seiner flachen Frontscheibe und den markanten genieteten Finnen ihre Klassen gewannen, war es der etwas bescheidenere, grau-blaue Lancia Dilambda Baujahr 1930, der die Herzen der Anwesenden eroberte. Eigentümer und Restaurator Filippo Sole feierte die „Coppa d’Oro“-Trophäe im besten Villa-d’Este-Stil – äußerst elegant im weißen Dreiteiler und mit der ganzen Familie plus „Babysitter“ Arturo Merzario auf den Rücksitzen. 

Inzwischen ist aber zu spüren, dass sich die Aufmerksamkeit der Autoliebhaber immer mehr auf die Nachkriegsjahre verlagert. Die Jury hatte deshalb ein Stilduell zwischen Großbritannien und Deutschland ausgerufen. Den Klassensieg holte David MacNeil für seinen atemberaubenden Mercedes-Benz 300 SL in Weiß über Blau – eines von nur 29 Autos mit Aluminiumkarosserie. Die Klasse „Granturismo all’Italiana“ machte es etwas schwieriger, einen Sieger zu küren, da alle Autos, die auf der zentralen „Piazza“ der Villa d’Este aufgefahren wurden, sowohl umwerfend schön als auch sehr ungewöhnlich waren. Corrado Lopresto und seine Familie feierten die 120-jährige Geschichte der Mailänder Manufaktur Isotta Fraschini mit einem akribisch restaurierten Isotta 8C Monterosa mit Boneschi-Karosserie – und dem dazu passenden zeitgenössischen Transporter, der hinter der Villa parkte. Daneben gab es nicht nur einen, sondern zwei der ultra-seltenen Kleinserien-Luxuscoupés „Supergioiello“ von Ghia zu bestaunen – einen Alfa Romeo 1900 C Sprint, den wir Ihnen bereits im Vorfeld des Concours ausführlich vorgestellt haben, und einen betörenden Alfa 6C 2500 aus dem Jahr 1950, den Jonathan und Wendy Segal aus den USA herübergebracht hatten. Obwohl diese Autos ebenso beeindruckend wie elegant sind, haben wir uns sehr gefreut, dass der von Jan de Reu eingesetzte Fiat 8V den Klassensieg eingefahren hat. Es ist an der Zeit, die „Otto Vus“ in die Hall of Fame der Sportwagen aufzunehmen. Direkt neben den Ferrari und Maserati der Ära.

Dennoch war es ein Sportwagen aus Maranello, den die Juroren beim diesjährigen Concorso d’Eleganza Villa d’Este mit der Trophäe „Best of Show“ auszeichneten. Mit seiner schlanken Karosserie, der langen Motorhaube, der eleganten silbernen Lackierung, den charakteristischen Scheinwerfern und der raffinierten blauen Lederausstattung wurde der 1956er Ferrari 250 GT Tour de France von Brian Ross auch von vielen Besuchern, mit denen wir sprachen, als Favorit vorgewettet – noch ehe die Jury ihr Verdikt gefällt hatte. Während der TdF der Inbegriff von Stil und Rennsport-Stammbaum ist, parkten andere, weniger subtile Langstreckenrenner in den Gärten der Villa d’Este. Während der Parade verwandelte Alexander Rittweger mit seinem Ferrari 512 BB LM die Promenade des Grand Hotels in eine Nachahmung der Hunaudières-Geraden von Le Mans, verbrannte Rennbenzin und spritzte Kies, während die Gäste ihre Club Sandwiches und Aperol Spritz genossen.

Noch frivoler war der Auftritt des Howmet TX von 1968, den Egon Zweimüller im Auftrag des österreichischen Sammlers Andreas Mohringer mitgebracht hatte: Angetrieben von einem höllisch lauten Gasturbinentriebwerk verwandelte der experimentelle Rennwagen die ehrwürdige Terrasse in die Start- und Landebahn eines Flugzeugträgers, während die weiß livrierten Ober versuchten, keinen Champagner zu verschütten. 

Und es gab noch mehr Störenfriede. Zur Feier der Geburt der Supersportwagens aus den 1970er- und 1980er-Jahren bestaunten die Zuschauer einen Ferrari F40 Prototipo und einen weißen Aston Martin V8 Vantage. Dennoch war das Auto, das die Klasse verdientermaßen gewann, ein radikaler Lamborghini Countach Walter Wolf Special aus dem Jahr 1978, seinerzeit vom kanadischen Ölmagnaten und Formel-1-Teambesitzer gleichen Namens in Auftrag gegeben. Mit seinen markentypischen „W“-Logos und Heckspoiler, goldenen Rädern und High-End-Stereoanlage bedeutete der blaue Keil einen großen Sprung nach vorn für Lamborghini – und die Sportwagenwelt im Allgemeinen.

Viele der jüngeren Gäste der Villa d’Este haben sich bei der Beschäftigung mit Videospielen in Autos verliebt – und waren gespannt, eines ihrer Heldenautos aus „Need for Speed ​​II“ beim Concours live zu erleben. Der Isdera Commendatore 112i, vom vielseitigen Sammler und Meyers Manx-Wiedererwecker Philip Sarofim aus Kalifornien eingeflogen, bot mit seinem Mercedes Zwölfzylinder-Mittelmotor und dem endlos langen Heck einen unvergesslichen Anblick.

Und obwohl der Bugatti EB110 SS Ex-Romano Artioli, ein McLaren F1 – leider aufgrund der strengen Sponsoring-Regeln seiner TAG Heuer-Aufkleber beraubt –, ein schwarzer Ferrari F50, eine weiße Porsche GT1 Straßenversion der 993-Generation und Eugenio Amos’ Mercedes-Benz CLK GTR die weltweit wohl hochkarätigste Versammlung von Supersportwagen der 1990er Jahre abgaben, war es der in Deutschland gebaute Isdera, der den Klassensieg nach Hause fuhr.

Dennoch war es natürlich unser Freund Eugenio mit Moustache und scharf geschnittenem 70er-Jahre-Anzug, der sich den inoffiziellen Titel für die lässigste Paraderunde sichern konnte, als er mit offenen Scherentüren die Terrasse der Villa d'Este hinunterfuhr, während zwei Schulmädchen in ihren Sonntagskleidern die Füße von den Kohlefasertürschwellern des CLK baumeln ließen. Mehr Coolness geht selbst in Italien nicht.

Einer der emotionalsten und unvergesslichsten Momente des Wochenendes war für uns aber die erste Begegnung mit dem frisch nachgebauten Lamborghini Countach LP 500 – ein Auto, von dem wir seit unserer Kindheit träumen. Der Prototyp, die erste und puristischste Inkarnation des keilförmigen Wunders von Marcello Gandini, debütierte 1971 auf dem Genfer Autosalon und wurde Mitte der 1970er Jahre bei Crashtests zerstört. In den letzten zwei Jahren wurde das historisch so bedeutende Auto bei Lamborghini Polo Storico originalgetreu neu aufgebaut – Sie können bald alles über die Wiedergeburt dieses bahnbrechenden Lamborghini auf Classic Driver lesen. Zu Recht gewann der LP 500 daher auch die Klasse der Konzeptstudien. Da fühlte es sich an wie ein perfekt choreografiertes Theaterstück, als in dem Moment, in dem der gelbe Keil an der Jury und den Gästen vorbeidefilierte, eine Armada von Schnellbooten vom Centomiglia del Lario-Rennen, verfolgt von einem tieffliegenden Helikopter, an der Villa d’Este vorbeidonnerte. Fasst man die stürmische Ausgelassenheit eines Wochenendes voller Show und Spektakel in aller Ruhe zusammen,  wird sich dieser Moment wohl bis ans Ende unserer Tage ins Gedächtnis eingebrannt haben. 

Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2021